▸ Die Edel-Tanne ist ein leistungsfähiger, immergrüner Baum. Sie stammt eigentlich aus dem Nordwesten der USA, wo sich ihr Verbreitungsgebiet von Washington bis nach Nordwestkalifornien zieht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam sie nach Europa und schmückt seitdem Parkanlagen und Hausgärten. Als Aktivbaum in Waldseilparks ist sie hier extrem selten zu finden.
Wieso die Edel-Tanne?
Nachdem als nächste Baumart für die Serie Baumportraits die Weiß-Tanne geplant war, es aber keinen mir bekannten Waldseilpark in einem reinen Weißtannenbestand gibt, hatte ich im Frühsommer 2022 glücklicherweise die Möglichkeit, in Norwegen eine Anlage zu überprüfen, die in einem Reinbestand aus Edel-Tanne installiert ist. Daher stelle ich im aktuellen Baumportrait die Edel-Tanne (Abies procera, Syn. Abies nobilis) vor.
Systematik und Merkmale
Die Edeltanne, auch pazifische Tanne oder Silbertanne genannt, ist eine Pflanze aus der Gattung der Tannen (Abies) in der Familie der Kieferngewächse (Pinaceae) aus den höheren Lagen der Cascade Mountains im Westen der USA. Diese besondere Baumart wurde am 7. September 1825 von David Douglas, einem schottischen Gärtner, Botaniker und Pflanzensammler, am Columbia River in Oregon entdeckt.
Die Noble
Douglas nannte die Art zunächst Pinus nobilis – noble Tanne. Pinus war im 19. Jahrhundert noch der offizielle Gattungsbegriff der Tanne. Der heute gebräuchliche und taxonomisch richtige Name Abies procera stammt vom lateinischen procerus ab und bedeutet „hoch“.
Ungewöhnlich eindrucksvoll
Für David Douglas war die Edel-Tanne der eindrucksvollste Baum, den er auf seinen Expeditionen im Westen der heutigen USA entdeckt hatte. 1830 schrieb Douglas in sein Tagebuch: „Ich verbrachte drei Wochen in einem Wald, bestehend aus dieser Baumart, und Tag für Tag konnte ich nicht aufhören, ihn zu bewundern; meine Worte sind nur eintönige Ausdrücke von diesem Gefühl.“
Nicht nur zur Weihnachtszeit
Die Edel-Tanne ist ein immergrüner Baum, der die größte Wuchshöhe unter den vielen verschiedenen Tannenarten erreicht. An optimalen Standorten in den USA sind Exemplare mit über 80 Metern Höhe und einem Durchmesser von über zwei Metern bekannt. Sie verfügt über einen auffallend geraden, säulenförmigen Stamm und trägt eine symmetrisch kegelförmige Krone.
Storchennest-Krone
Die Krone ist oft nicht so dicht wie bei anderen Tannenarten und erscheint daher häufig etwas „durchsichtig“. Im Gipfel stirbt häufig der Leittrieb ab und die Seitenäste ziehen neben dem ehemaligen Leittrieb in die Höhe, wodurch sich die sogenannte „Storchennest-Krone“ bildet, die wir auch von unserer heimischen Weißtanne (Abies alba) kennen.
Knospen und Nadeln
Die runden Knospen sind sehr klein, mit rotbraunen Schuppen versehen und werden häufig von den Nadeln verdeckt. Die blaugrün schimmernden Nadeln stehen sehr dicht und meist aufwärts gerichtet spiralig um die Zweigbasis. Die 25 bis 35 mm langen Nadeln haben eine Lebensdauer von bis zu zwölf Jahren.
Einhäusig
Die Edeltanne ist einhäusig getrennt-geschlechtlich (monözisch) und wird ab dem Alter von 30 Jahren „mannbar“. Die männlichen Blütenzapfen sind dunkelrot und sitzen in Gruppen von bis zu 30 Stück auf der Zweigunterseite. Die unscheinbaren weiblichen Blütenzapfen sind eher gelblich gefärbt und stehen einzeln oder in kleinen Gruppen von zwei bis fünf Stück auf der Oberseite vorjähriger Triebe.
Dicke Zapfen
Die Zapfen gelten mit einer Länge von 10 bis 24 cm und einem Durchmesser von fünf bis sieben cm als die größten Zapfen aller bekannten Tannenarten. Die Borke der älteren Bäume ist hellgrau bis grau, manchmal mit einem lilafarbenen Ton und weist viele Harzblasen auf.
Im fortschreitenden Alter bricht die Borke in rechteckige Platten auf. Mit zwei bis fünf cm ist sie relativ dünn, weshalb die Edel-Tanne bei Waldbränden sehr gefährdet ist.
Das Wurzelsystem
Die Edeltanne bildet im Gegensatz zu unserer Weißtanne kein reines Pfahlwurzelsystem aus. In der Regel entwickelt sie ein umfangreiches Herzwurzelsystem mit etlichen tiefreichenden Senkerwurzeln. Manchmal bildet sie, vermutlich abhängig vom Standort zusätzlich eine leichte Pfahlwurzel. Die Edel-Tanne gilt daher als nicht ganz so sturmstabil wie die Weißtanne, wird aber trotzdem nicht zu den windwurfanfälligen Baumarten gezählt.
Holzprofi
Das weiche, weiße und elastische Holz der Edel Tanne gilt als das qualitativ hochwertigste aller bekannten Tannenarten. Es besitzt ein sehr gutes Steifigkeits- / Gewichtsverhältnis, das mit den besten Koniferenhölzern wie denen von Sitka-Fichte und standortsgerecht vorkommenden Hemlock-Tanne konkurrieren kann.
Von der Holzqualität her, wird das Holz der Edel-Tanne nur noch vom schweren Holz der Douglasie übertroffen.
Die größten bekannten Einzelexemplare:
Tanne am Yellowjacket Creek im Gifford Pinchot National Forest (Washington) Höhe: 72,6 m, Stammdurchmesser: 275 cm
Tanne in der Goat Marsh Research Natural Area im Mt. St. Helens National Monument (Washington) Höhe: 89,9m, Stammdurchmesser: 192cm
Verbreitung
Die Edel-Tanne wächst im humiden (feuchten) pazifischen Nordwesten der USA. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Washington über Oregon bis nach Nordwestkalifornien. Sie wächst im Küstengebirge und in den Cascade Mountains in Höhenlagen von 650 bis 1.680 m. ü. NN. Meist ist sie vergesellschaftet mit Douglasie, Purpur-Tanne und der westamerikansichen Hemlocktanne. Man findet sich vereinzelt aber auch in Reinbeständen.
Geringe Ansprüche
Um optimale Bedingungen zu haben, benötigt die Edel-Tanne kontinentales Klima mit kühlen Sommern und reichlichen Niederschlägen (2.000 bis 2.500 mm / Jahr). An den Standort stellt die Baumart sehr geringe Ansprüche. Allerdings gedeiht sie nicht auf Kalkstandorten und findet auf solchen daher auch keine natürliche Verbreitung.
Die Edel-Tanne gilt als ausgesprochene Lichtbaumart und verträgt daher nur sehr wenig Schatten. Temperaturen von -20°C und kälter übersteht sie problemlos.
Hem-Fir
Das Holz der Edel-Tanne wird mit dem von vier weiteren Tannenarten (Pracht-Tanne, Küsten-Tanne, Purpur-Tanne und Hemlock-Tanne) als „Hem-Fir“ vermarktet. Dies ist die geläufige Abkürzung der US-Sägeholz-Produzenten „Western Forest Products“ und der „Western Woods Products Association“.
Holznutzung
Neben der Hauptverwendung als Bau- und Konstruktionsholz werden aus Edel-Tanne auch sehr gerne Leitersprossen gefertigt, da das Holz leicht und trotzdem sehr stabil ist. Es ist von sehr hoher Steifigkeit und trotzdem leicht zu bearbeiten.
Flugzeugindustrie
Im Zweiten Weltkrieg wurde das im Flugzeugbau bewährte Holz der Sitka-Fichte knapp. Auf der Suche nach einem geeigneten Substitut wurde das Holz der Edel-Tanne empfohlen. Besonders beim Bau des Flugzeugtyps de Havilland DH.98 Mosquito wurde Edel-Tannenholz verwendet.
Nebennutzung
Als weitere Nutzungsarten wird die Edel-Tanne weltweit als Ziergehölz, in Christbaum-Kulturen und zur Verwendung als Schmuckreisig angebaut.
Die Edel-Tanne als Aktivbaum im Waldseilpark
Ein von mir betreuter und überprüfter Kletterwald in Südnorwegen, ca. 15 km südlich von Stavanger, besteht tatsächlich zu 100% aus Edel-Tannen (Abies procera). Diese wurden vor etwa 50 Jahren auf einer bislang nicht forstwirtschaftlich genutzten Fläche an einem mäßig steilen Südhang gepflanzt.
Standort
Der Standort ist wie überall in Südnorwegen sehr felsig, aus kristallinen Urgesteinen der Granit-, Gneis-, Quarzitgruppe mit einer wenig mächtigen Humusauflage. Die Baumart kommt sowohl mit dem Standort als auch mit den klimatischen Bedingungen (kühle Sommer, hohe Niederschläge) sehr gut zurecht.
Tief verwurzelt
Bislang gab es an diesem Standort noch keine Ausfälle durch Sturmwurf oder -bruch. Ich gehe davon aus, dass sich der Baum mit seinen tiefreichenden Senkerwurzeln hier sehr gut in den vorhandenen Felsspalten / -ritzen verzahnt und so sehr sturmstabil ist. Auffällig ist, dass die Bäume keine nennenswerten Höhenzuwächse, dafür aber fulminante Dickenzuwächse machen. Jahrringbreiten von bis zu zwei cm sind hier möglich.
Enormes Dickenwachstum
Das enorme Dickenwachstum ist problematisch. Nach Angaben der Parkleiterin mussten die ersten Plattformen bereits nach vier (!) Jahren umgebaut werden. Hier waren wohl zunächst die Plattformbefestigungen der ersten Generation, die eine flächige Klemmung von vier Seiten aufweisen, verbaut.
Es wird eng
Aufgrund des beschriebenen starken Dickwachstums kommt es daher logischerweise ebenfalls zu den bekannten Problemen wie:
- einwachsende Druckhölzer
- einwachsende, einschneidende Stahlseile und Ketten
Hier besteht in Kürze akuter Sanierungsbedarf, wenn die Anlage noch ein paar Jahre genutzt werden soll.
Schädlingsbefall
Des Weiteren fiel auf, dass die Edel-Tanne an diesem nicht heimischen Standort mit verschiedenen Schadorganismen zu kämpfen hat:
- Einzelne Ausfälle aufgrund eines Befalls mit einer der drei bekannten Arten des Tannenborkenkäfers
- Befall mit Tannentrieblaus (Dreyfusia spec.) in Kombination mit einem oft zusätzlich auftretenden Rindenpilz. Hierbez kann es zum Absterben des Baumes kommen
- Befall mit Tannennadelrost (ein Pilz). Hierbei färben sich die Nadeln zunächst gelblich, werden dann rot und sterben schließlich ab
Fazit
Eine fremde Baumart anzubauen, birgt zunächst immer einige Risiken. Während das Klima und der Standort der Edel-Tanne zwar augenscheinlich behagt, wächst der Baum trotzdem anders als in seinem angestammten Verbreitungsgebiet in Nordamerika.
Auswüchse
Aufgrund des felsigen und wenig tiefgründigen Standorts hat sich die Edel-Tanne hier wohl dazu „entschieden“, eher in die Dicke als in die Höhe zu wachsen. Dies bringt für den Betreiber die bekannten Probleme mit dem Einwachsen der Installationen und dem entsprechenden finanziellen Aufwand für den Umbau.
Beständigkeit
Hinzu kommt hier, vermutlich auch aufgrund des „Exotenstatus“ der Baumart in Norwegen eine offensichtliche Auffälligkeit für eine große Anzahl der bei Tanne bekannten Schadorganismen. Demgegenüber steht eine relativ geringe Anfälligkeit gegenüber Windwurf / Windbruch, was wiederum für eine gewisse Betriebssicherheit sorgt.
Was müssen das für Bäume sein
Zuletzt bleibt der Eindruck, beim Betreten dieses Kletterwaldes einen ganz besonderen Wald zu besuchen. Die Erhabenheit der langen, starken Stämme, das satte Grün der Kronen, der intensive Duft nach Harz und Terpenen – das alles verspricht den Besuchern ein tolles und besonderes Walderlebnis.
So bot die Arbeit in diesem Kletterwald auch für mich die Gelegenheit, einen relativ einmaligen Baumbestand in einem sehr eindrucksvollen Land kennenzulernen.
Infos und Kontakt:
Ingenieur- und Sachverständigenbüro für Baumsicherheit und Baumpfleger
Joachim Schuster Dipl.-Ing.
Mirabeauweg 5
72072 Tübingen
Tel.: 0770 597 8500
E-Mail: ing.buero_schuster@yahoo.de